BLAUDUNKLE LIEDER


(Foto: xenorama)

Das ist Masha Qrella. Sie ist eine Künstlerin, die es vermag, Dunkelheit und Melancholie in leuchtende Musik zu legen. Das hat sie mit ihren eigenen Songs getan, und das tut sie jetzt auch mit den Texten von Thomas Brasch. Wenn man seine Gedichte kennt, kann man sich oft nicht vorstellen, dass und wie sie vertont werden könnten. Masha hat es getan, und es „funktioniert“ nicht nur, sie gibt dieser Poesie zudem einen ganz eigenen Raum, ohne sie darin einzusperren.
WOANDERS heißt ein Abend mit diesen Songs und Räumen. Neben ihrer Band (Chris Imler und Andreas Bonkowski) sind als Gäste dabei: Tarwater, Dirk von Lowtzow, Andreas Spechtl und ich.
Im Dezember war Premiere im HAU, vier Abende ausverkauft. Im März gibt es zwei Vorstellungen in Wien. (Leider abgesagt und auf Januar oder Februar verschoben)

HERR TROLLER UND HERR BRASCH

Das sind Thomas Brasch und Georg Stefan Troller. Das Bild entstand 1977 bei Dreharbeiten, als der Journalist und Schriftsteller Troller einen Film über den Schriftsteller Brasch machen wollte, der gerade von Ost- nach Westberlin übergesiedelt war. Die Dreharbeiten gestalteten sich schwierig, weil Brasch keine Lust hatte, sich vereinnahmen zu lassen.
Das kann man jetzt auch nachlesen in Trollers Buch Liebe, Lust und Abenteuer – 97 Begegnungen meines Lebens.
Hier der Abschnitt über meinen Bruder und darunter die entsprechende Szene dazu.



Interessanterweise hat Troller in seinem Text auf die Pointe verzichtet. Nachdem der Filmemacher nämlich sagte, er wolle nur, dass das Schnitzel (also Brasch) nach sich selber schmecke, reagierte der Schriftsteller sehr lakonisch …

18. AUGUST 1989

Das ist mein Vater. Die Aufnahmen enstanden 1944 im englischen Exil und 1989 in Ostberlin. Dazwischen ist viel passiert, das sieht man.
Am 18. August 1989 ist er gestorben. Und weil er ZK-Mitglied war, bekam er eine offizielle Trauerzeremonie. Ein hoher Funktionär hielt eine Rede voller abgenutzter Worte, dann trugen sie seine Orden auf roten Samtkissen zu seinem Grab und spielten den Trauermarsch, den sie immer spielten. Ich hatte diese Beerdigungen schon tausendmal im Fernsehen gesehen, doch die hier war anders. Klar, es war mein Vater, den sie zu Grabe trugen, aber das war es nicht. Irgendwie passte diese seltsame Zeremonie nicht mehr in diese Zeit. Das Land lag doch auch schon im Sterben, und die Band, die hier den Trauermarsch spielte, war ja bloß die Vorband für eine größere Beerdigung, nur ahnte das damals noch niemand. Ich stand zwischen meinen Brüdern, wir hielten uns an den Händen und gehörten zusammen. Zum letzten Mal.

FLUGBLÄTTER

Das ist ein Flugblatt. Die Geschichte dazu geht so:
1968. Die Welt war aus den Fugen. Die Söhne rebellierten gegen ihre Väter. Auch in dem Teil der Welt, wo es einmal die Vision vom schönen weiten blauen Himmel mit der aufgehenden Sonne gegeben hatte. Hier war der Blick der Väter starr geworden. Sie hatten ihre Träume mit der Zeit gegen Parteiprogramme eingetauscht. Sie hatten aufgehört, ihrem eigenen Volk zu trauen und die Türen und Fenster vernagelt. Die Luft war mit der Zeit immer dicker und muffiger geworden.
Im Land nebenan passierte etwas. Dort machten sie plötzlich die Fenster auf und ließen frische Luft herein. Doch die Männer, die ihre Träume vergessen hatten, wollten das nicht dulden und schickten Panzer in das Land. Die Fenster wurden wieder verriegelt. Aus der Traum. Vorbei.
Mein ältester Bruder fand das schlimm, traf sich mit seinen Freunden und schrieb Flugblätter: »Hände weg vom Roten Prag.« Sie hatten nichts gegen den Sozialismus. Sie wollten ihn, aber nicht so.
Nachts verteilten sie die Flugblätter in Berlin und verabredeten, sich gegenseitig nicht zu verraten, wenn einer von ihnen verhaftet würde.

Kurzfilm von Lena Brasch und Antonia Lange
Nach einem Motiv des Romans Ab jetzt ist Ruhe (S. Fischer, 2012)
Musik: Jun Miyake „Lilies in the Valley“